„Ich fühlte mich zunehmend unwohl mit dem Ausbringen chemischer Stoffe in die Umwelt“, erzählt Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bundes ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Er erkannte für sein Hofgut Habitzheim die Vorteile der ökologischen Landwirtschaft und stellte den Betrieb entsprechend um. Für Löwenstein gibt es keine Argumente für konventionelles Wirtschaften und Gentechnik auf dem Acker – die angeblichen Geheimwaffen gegen den Hunger auf der Welt. Die wahren Ursachen für den Hunger auf der Welt könne man damit nicht lösen. Die ökologische Landwirtschaft eignet sich in Löwensteins Augen, um alle Menschen ausreichend zu ernähren.
Jens Brehl: Trotz der industriellen Landwirtschaft mit ihren vergleichsweise hohen und oft stabilen Ernteerträgen hungern weltweit eine Milliarde Menschen. Aus Sicht der Industrie müssten die Erträge weiter gesteigert werden, um den Hunger zu besiegen. Als Patentlösung wird die Gentechnik präsentiert, die robustere Pflanzen und größere Ernten verspricht. Sind die vorgebrachten Argumente stichhaltig?
Felix zu Löwenstein: Die Argumente entbehren bis jetzt jeglicher Grundlage. Weltweit werden auf 148 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Sie wurden entwickelt um entweder gegen bestimmte Herbizide immun zu sein oder selber Insektengifte produzieren. Nichts davon erhöht letztendlich die Erträge. Die Technologie dient ausschließlich dazu, Großflächenlandwirtschaft in Monokulturen betreiben zu können, ohne die für den Erhalt von Bodenfruchtbarkeit erforderlichen Fruchtfolgen oder andere natürliche Gegebenheiten beachten zu müssen. Diese Art der Landwirtschaft richtet sich gegen die Natur und ist dadurch nicht zukunftsfähig. Durch die Lizenzansprüche der Patentinhaber verstärken gentechnisch veränderte Pflanzen zudem zusätzlich die wirtschaftliche Abhängigkeit der Bauern von den großen Agrarunternehmen, denn das Saatgut muss vor jeder Aussaat neu gekauft werden. Die Industrie verspricht seit Jahrzehnten Pflanzen, die tatsächlich zu höheren Erträgen führen. Noch immer sind diese nicht in Sicht. Bei all dem hat diese Technologie einen entscheidenden Haken: Lebende, vermehrungsfähige Pflanzen kann man aus der Natur nicht mehr zurückholen, wenn sie sich als ein Problem erweisen.
Die wahren Ursachen des Welthungers
Jens Brehl: Müssen die Ernteerträge überhaupt weiter gesteigert werden, um alle Menschen ernähren zu können?
Felix zu Löwenstein: Der Blick auf die Realität zeigt, dass der Welthunger keine Frage von mangelnder Produktivität ist. In den Industrienationen wird nahezu die Hälfte der erzeugten Lebensmittel im Müll entsorgt. Auch in den Entwicklungsländern verdirbt in etwa die Hälfte der Erzeugnisse aufgrund von falscher Lagerung oder mangelnden Transportkapazitäten, bevor sie auf dem Teller landen. Hier liegen größere Reserven, als man durch Ertragssteigerung gewinnen kann.
Ein weiterer Punkt sind instabile politische Verhältnisse, die häufig in (Entwicklungs-) Ländern zu finden sind, in denen Hunger herrscht. Wie beispielsweise in der Demokratische Republik Kongo, die über große Flächen für den Lebensmittelanbau verfügt. Doch diese werden nicht oder unwirtschaftlich und damit nicht nachhaltig genutzt. Oftmals geht infolge dessen fruchtbarer Boden verloren. In dem Land findet sich eine Vielzahl von wertvollen Rohstoffen, wie beispielsweise Coltan. Aus diesem Erz wird das Metall Tantal gewonnen, ohne das kein Mobiltelefon auskommt. Im Schutze von politischem Chaos ist es leichter und vor allem profitabler, die Rohstoffe auszubeuten. Die Unruhen sorgen dafür, dass sich kaum ordnende staatliche Strukturen aufbauen lassen, ohne die die Bevölkerung wiederum nicht am Reichtum teilhaben kann. Somit geraten die wertvollen Rohstoffe zum Fluch und ein Großteil der Menschen leiden unnötigerweise Hunger. Ein anderes Beispiel ist Äthiopien: Hier werden Kleinbauern von ihrem Land vertrieben, damit dort statt Lebensmittel für die Region Schnittblumen für den Export angebaut werden können.
Der Versuch, möglichst hohe Erträge mit Hilfe von Kunstdünger und Pestiziden zu erwirtschaften, verbraucht darüber hinaus mehr Ressourcen, als gewonnen werden können. Infolgedessen sind die Bodenfruchtbarkeit, sauberes Trinkwasser und die Artenvielfalt in Gefahr. In nur zwei Generationen verheizen wir rasend schnell sämtliche natürlichen Ressourcen – und leider nicht nur in der Landwirtschaft. Das Ökosystem kann sich kaum noch regenerieren.
Jens Brehl: Ein beträchtlicher Teil der weltweiten Ernte wird an Nutztiere verfüttert oder auf den Ackerflächen wachsen Energiepflanzen. Wie betrachten Sie die heutige Konkurrenzsituation von Lebensmittel zwischen Teller, Trog und Tank?
Felix zu Löwenstein: Ein Hauptgrund, warum die Agrar-Erträge gesteigert werden sollen, ist die erhöhte Nachfrage nach tierischen Produkten wie Fleisch, Eier und Milch – vor allem in Entwicklungsländern. Es gilt als Zeichen von wachsendem Wohlstand, wenn sich die Bevölkerung Fleisch leisten kann. Im Schnitt verzehrt jeder Deutsche davon in etwa 60 Kilogramm im Jahr. Würden alle Menschen weltweit pro Jahr rund 50 Kilogramm derselben Fleischarten essen, bräuchte man 1,8 Milliarden Tonnen Getreide als Futtermittel. Eben diese 1,8 Milliarden Tonnen Getreide erzeugen wir derzeit jährlich weltweit. Es würde demnach kein Gramm übrig bleiben, um Brot zu backen. Die Rechnung zeigt, dass die Übertragung unseres Ernährungsstils auf alle Menschen der Welt das Ernährungssystem zusammenbrechen lassen würde.
Darüber hinaus wird es unmöglich bleiben, versiegende fossile Rohstoffe in nennenswertem Umfang durch Energie vom Acker zu ersetzen. Vor allem ist es ökologisch fragwürdig Urwälder zu roden, um auf den Flächen in Monokultur Palmölplantagen anzulegen, damit Biodiesel in unseren Fahrzeugtanks landet. Bei der Frage Trog oder Tank müssen wir klären, wie viel sich unser Ökosystem überhaupt leisten kann, anstatt mit aller Gewalt zu versuchen, dem Boden mehr Ertrag abzuringen. Für die Ernährungssicherheit ist es entscheidend, dass wertvolle Ressourcen sinnvoll eingesetzt und vor allem erhalten bleiben. Aus diesem Grund werden wir uns künftig ökologisch ernähren oder gar nicht mehr. Das heißt nicht, dass wir nicht möglichst hohe Erträge erzielen müssten. Aber wir müssen dies im Einklang mit der Natur und ohne Überbeanspruchung ihrer Ressourcen tun.
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